Neues aus der Welt der Impaktstrukturen, Meteoritenkrater und verwandter Themen – Folge 5

Das Tunguska-Ereignis von 1908 und der Cheko-See – gehört beides zusammen?

Über das Tunguska-Ereignis im Jahr 1908 müssen hier nicht mehr viele Worte verloren werden. Obgleich immer wieder  Aussenseiter-Hypothesen (teilweise in fragwürdigen  TV-Dokumentationen) propagiert werden, ist die Wissenschaft heute davon überzeugt (und das wohlbegründet), dass es sich um eine Impakt-Explosion eines Kometen oder Asteroiden in der Atmosphäre gehandelt hat. Das Hinterfragen von „Mainstream“-Ansichten bzw. Lehrbuch-Wissen hat grundsätzlich Berechtigung in der Wissenschaft, aber im Fall der kosmischen Tunguska-Explosion hat es bisher keine der Alternativ-Hypothesen (vom explodierten Mückenschwarm, über Methangas-Explosion bis hin zum gestrandeten Raumschiff) geschafft, ernsthaft an der allgemein akzeptierten Vorstellung zu kratzen.

Etwas anders verhält es sich mit einer Forschung im Zusammenhang mit dem Tunguska-Ereignis. Um die Jahrtausendwende unternahm eine italienische Forschergruppe aus Bologna unter der Leitung von Luca Gasperini eine Forschungsreise in das damalige Katastrophengebiet zu einem schüsselförmigen See (dem Cheko-See) mit einem Durchmesser von etwa 500 m. Er liegt grob 8 km entfernt vom damaligen Zentrum der Zerstörungen am Grund und wurde von der Bologna-Gruppe dann als der zum Tunguska-Ereignis gehörende Einschlag-Krater gedeutet, was vor allem auf geophysikalischen Messungen (Seismik, Geomagnetik) basierte. 2007 wurde über einen solchen möglichen Zusammenhang ein Artikel publiziert (L. Gasperini et al. (2007): A possible impact crater for the 1908 Tunguska Event, Terra Nova, 19, 245–257), der im Jahr darauf – man möchte fast sagen – prompt eine Entgegnung mit Ablehnung aus der etablierten Impakt-Forschung zur Folge hatte (Collins, G.S., Artemieva, N., Wünnemann, K., Bland, P.A., Reimold, W.U. and Koeberl, C. (2008): Evidence that Lake Cheko is not an impact crater. Terra Nova, 20, 165–168). Weltweit berichteten die Medien über die Auseinandersetzung, die aber bald völlig in den Hintergrund trat und eine Entscheidung – für oder dagegen – offen ließ.

Nunmehr, am 23 Januar 2017 berichtet The Siberian Times in der Wissenschaftssparte über einen neuen Anlauf russischer Wissenschaftler aus Krasnoyarsk und Novosibirsk, den Ursprung des Cheko-Sees zu klären und sich mit der Hypothese der Italiener auseinanderzusetzen. Bei den neuen Untersuchungen ging es um das Alter der Sedimente am Seeboden, das offensichtlich mit der Radiokarbon-Methode (radioscopic analyses im Originaltext) zu 280 Jahren für die tiefsten Sedimente bestimmt wurde. Damit wäre der See älter als das Ereignis. Ein vollständiger Artikel dazu soll im Sommer erscheinen. Falls sich die Radiokarbon-Datierung als das Hauptargument herausstellen sollte, müssen schon jetzt Bedenken angemeldet werde. Es ist kein Geheimnis, dass 14C-Datierungen von sehr jungen Impakten vielfach erheblich falsche Ergebnisse gezeitigt haben, und die Gründe sind nicht schwer auszumachen. Durch die extremen physikalischen Bedingungen mit extremen Temperaturen und extremen Drücken, vermutlich mit Plasma-Bildung verknüpft, kann es zu erheblichen Verschiebungen im Gleichgewicht der Kohlenstoff-Isotope kommen – und damit zu absoluten Fehlbestimmungen des Alters von Impakt-Strukturen/Meteoritenkratern.

So weit so gut. Oder auch nicht. Die russischen Forscher werden damit umzugehen haben; dagegen auf einer anderen Ebene liegt diese fehlgeleitete Wissenschaft(?):  Wir erinnern an die unsägliche Radiocarbon(14C)-Datierung am Tüttensee-Meteoritenkrater des Chiemgau-Impaktes, die das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU), Abteilung Geologie, im Jahr 2010 vorgenommen hat, worüber wir an anderer Stelle ausführlicher berichtet haben unter dem Titel:

Der Chiemgau-Impakt: die irreführende Bohrung des LfU, die Internet-Diskussion und Wikipedia

oder: Wie Verfälschungen in der Wissenschaft funktionieren.

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Shatter cones aus Malm-Bruchstücken in der Bunten Brekzie des Ries-Kraters

Shatter cones als einziger makroskopischer Schock-Indikator sind aus sehr vielen Impaktstrukturen auf der Erde bekannt. Es handelt sich um kegelförmige Bruchflächen mit sehr charakteristischen Bruchflächenmarkierungen („Pferdeschwanz-Strukturen“) im Gestein (von vielen Impaktforschern immer noch fälschlich als striae oder striation bezeichnet), die beim Durchgang von Schockwellen entstehen. Ausführliches zum Thema mit sehr vielen Fotos von Shatter cones aus aller Welt und mit einigen bruchmechanischen Anmerkungen versehen, kann HIER nachgelesen werden. Obwohl viele Überlegungen zu ihrer Entstehung angestellt und publiziert wurden, existiert ein allgemein gültiger Entstehungsprozess bis heute nicht.

Anders als im Meteoritenkrater des Steinheimer Beckens, in dem Shatter cones (dort die sog. „Strahlenkalke“ im Malm-Kalkstein) bereits anfangs des 20. Jh. als Besonderheit erkannt und mit dem damaligen „Krypto-Vulkanismus“ in Verbindung gebracht worden waren, werden Funde von eindeutigen Shatter cones im Ries-Krater erst ab den 60er/70er Jahren in verschiedenen Kristallingesteinen bekannt (siehe die Shatter cone-Seite Abb. 30-33). Eigenartigerweise wurden Shatter cones nie in den Malm-Kalksteinen des Rieses gefunden, obgleich sie einen Großteil der Auswurfmassen bestreiten und auch in die weitverbreitete Bunte Brekzie als mehr oder weniger große Klasten eingemischt sind.

Nunmehr hat Frau Gisela Pösges vom Rieskrater-Museum in Nördlingen in Malm-Kalksteinen aus der Bunten Brekzie im Steinbruch Aumühle wunderschöne Shatter cones entdeckt. Auf der letztjährigen Tagung der Meteoritical Society in Berlin hat sie darüber einen Beitrag geliefert, der HIER angeklickt werden kann.

Auf der genannten Tagung in Berlin wurden darüber hinaus einige weitere Beiträge zu Untersuchungen an Shatter cones vorgestellt: hier und hier anklicken.

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Ebenfalls von der Tagung der Meteoritical Society in Berlin: neu nachgewiesene und vermutete Impaktstrukturen weltweit.

M.J. Simms berichtet über eine verborgene sehr große präkambrische Impaktstruktur (Lairg) in Schottland, die bisher durch eine Impaktablagerung und eine mindestens 40 km große negative Schwereanomalie belegt ist.#

F. Yin & M. Chen bringen neue Ergebnisse über den erst jüngst bekannt gewordenen Xiuyan-Krater in China mit einem Durchmesser von 1,8 km.

Ebenfalls ein sehr junger Nachweis ist der Agoudal-Krater in Marokko, der vor allem durch die Verbreitung von gut erhaltenen Shatter cones entdeckt wurde. Ein Durchmesser zwischen 1 und 3 km wird diskutiert. H. El Kerni et al. berichten über neue petrographische und geochemische Untersuchungen.

Über Geländearbeiten in zwei erst jüngst in die Literatur eingegangenen Strukturen in Brasilien berichten P.T. Zaag et al. Während die Vargeão Dome-Struktur mit einem Durchmesser 12 km als Impaktstruktur anerkannt ist, bleibt die Cerro do Jarau-Struktur umstritten.

Ebenfalls in Brasilien liegt die erst kürzlich bestätigte Impaktstruktur von Santa Marta mit einem Durchmesser von 10 km. G.J.G. Oliveira et al. berichten über geologische Feldarbeiten

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