Kord Ernstson & Ferran Claudin (Nov. 2012)
1968 erschien in der Geologischen Rundschau (heute: International Journal of Earth Sciences), Band 58, ein kurzer Artikel über Anzeichen für einen Meteoritenschauer in der Atacama-Wüste in Nordchile nahe der Quillagua-Oase, der ein grob elliptisch geformtes Streufeld von 80 oder mehr meteoritischen Impaktkratern erzeugt haben sollte (Thomas N. 1968).
Die Gruppe der Krater war 1956 während einer geologischen Geländekampagne entdeckt und später mit fotogeologischer Interpretation und zusätzlicher Geländebegehung durch Thomas N. weiter verifiziert worden. Die Krater bilden drei Hauptgruppen innerhalb einer Ellipse von etwa 40 km x 15 km (Abb. 1). Eine sogenannte Kighly-Gruppe, die im Artikel nicht weiter behandelt wird, würde die Ellipse auf grob 60 km x 15 km vergrößern (Abb. 1).
Abb. 1. Die untersuchten Krater im mutmaßlichen Meteoritenkrater-Streufeld von Quillagua. Verändert aus Thomas N. (1968).
Die Anzahl der meist fotogeologisch definierten Krater beträgt 82, die aber offensichtlich nicht alle in der Karte von Thomas N. verzeichnet sind (Abb. 1). Die Verteilung gemäß den Durchmessern zeigt die Karte ebenfalls, wobei 11 Krater Durchmesser über 100 m besitzen, 18 Krater zwischen 30 und 100 m groß und die restlichen 53 Krater kleiner als 30 m sind. Der größte Krater (der einzelne im Südwesten der NNE 1-Gruppe) hat einen Durchmesser von über 300 m. Nach den Geländebegehungen hieß es, dass die Anzahl der kleineren Krater wesentlich größer ist als die, die man im Luftbild sieht.
Geologisch gesehen sind die Krater in tertiären (Miozän, Pliozän) und quartären Sedimenten angelegt. Das Tertiär besteht aus wenig verfestigten Konglomeraten und Sandsteinen, limnischen Kalksteinen und Salztonebenen. Junge äolische und Piedmont-Sedimente überdecken das Tertiär, die nicht eindeutig durch die meteoritischen Einschläge durchschlagen wurden, was gleichzeitig gegen jede Art vulkanischer Entstehung sprechen würde.
Thomas N. berichtet große Mengen von Kieselglas innerhalb und außerhalb der Krater, das er als typische „Impaktite“ bezeichnet, sowie kleinere Mengen von tektitähnlichem Glas. Für Thomas N. belegen diese Beobachtungen ein Cluster von Meteoriten oder einen riesigen Meteoriten, der in großer Höhe auseinander geborsten ist. Ein Alter für diesen mutmaßlichen Impakt nennt er nicht.
In seinem „Katalog von 230 sicheren, wahrscheinlichen, möglichen und zweifelhaften Impaktstrukturen“ führt Classen (1977) das Quillagua-Streufeld als „möglichen“ Impakt auf. Zu jener Zeit handhabte Classen die Klassifizierung von Impakten ziemlich restriktiv. „Sichere“ Krater sind allein solche mit aufgefundenen Meteoriten. Schockeffekte (Schockmetamorphose) sind weniger indikativ und sprechen nur für einen „wahrscheinlichen“ Impaktursprung, während „mögliche“ Strukturen solche mit anderen akzeptablen Anzeichen für meteoritischen Impakt sind.
Inzwischen ist es bekanntlich in der Impaktforschung vorangegangen, und demgemäß führt die umfangreiche Impakt-Datenbank „Expert Database on Earth Impact Structures (EDEIS)“ – Web Encyclopedia on Natural Hazards – das Quillagua-Streufeld in der „wahrscheinlichen“ Kategorie. Das leitet zur allgemeinen Frage über:
Wie sieht die Situation heute, 50 Jahre später, aus?
Tatsächlich ist ein Krater bei Quillagua von den dortigen Einwohnern sehr wohl registriert, ohne dass aber irgendwelche näheren Untersuchungen bekannt geworden sind oder dass er in die kanadische Impakt-Datenbank aufgenommen wurde. Einige wenige private Fotos zeigen den Quillagua-Krater (meist bei youtube) im Internet, wo auch ein Video angeklickt werden kann. 2008 erwähnt ein Meteoritensammler drei Impakte bei Quillagua, bei denen aber offenbar keine Meteorite mehr aufzufinden waren. „Fast alle der Steine in dem Gebiet waren durch den Impakt verbrannt“ – berichtet er. Weiterhin können wir lesen, dass die Windkraft-Industrie Ausschau nach Investoren für das „Quillagua – Meteoriten-Gebiet“ hält. Und einen sehr kurzen vagen touristischen Hinweis auf eine archäologische Stätte „La Capilla, Quillagua-Krater“, die mögliche Spuren eines meteoritischen Impaktes sein könnten, kann man ebenfalls im Web finden.
Auf Seiten der Wissenschaft und der sogenannten Impakt-„Gemeinschaft“ existiert der Quillagua-Impakt ganz offensichtlich nicht, und der Rest der vielen Krater in dem großen Streufeld scheint mehr oder weniger der Vergessenheit anheimgefallen zu sein, wenngleich wir in der Zeitung lesen können, dass (übersetzt) „Palape, der das führende Restaurant der Stadt besitzt, immer noch davon träumt, die 108 Meteoritenkrater in und um Quillagua herum für Touristen attraktiv zu machen.“
Es ist klar, dass die fotogeologischen Aufnahmen, die Thomas N. zur Verfügung hatte, wohl nicht zugänglich sind, aber wir können versuchen, Die Google Earth-Satellitenaufnahmen zu benutzen, um die Krater in dem großen Streufeld aufzuspüren:
Abb. 2. Mehrere Krater aus der Quillagua-Gruppe. Der Hauptkrater ist auch der, der auf den Fotos im Web gezeigt wird. Offenbar existieren wenigstens drei synchrone, sich überlagernde Impakte, wie es in Abb. 3 skizziert ist. Diese Überlagerung kann man auch in einigen der Bodenaufnahmen erkennen. Google Earth.
Abb. 3. Fünf nachgezeichnete Krater der Quillagua-Gruppe.
Abb. 4. Krater der NNE 1-Gruppe. Man beachte die radialen Strukturen bei einigen der Krater, bei denen es sich um impakt-induzierte Brüche im Untergrund handeln könnte.
Abb. 5. Wahrscheinlich Krater der NNE 2-Gruppe, westlicher Teil. Google Earth; nach leichter Bildbearbeitung.
Abb. 6. Wahrscheinlich zwei Krater der NNE 2-Gruppe, östlicher Teil. Google Earth; nach leichter Bildbearbeitung.
Abb. 7. Möglicherweise Krater der J. Kighley-Gruppe. Die Strukturen deuten sich nur vage an. Google Earth.
Literatur
Classen, J. (1977): Catalogue of 230 certain, probable, possible, and doubtful impact structures. – Meteoritics, 12, 61-78.
Thomas N., A. (1968): Vorläufige Mitteilung über einen Meteoritenregen an der Quillagua-Oase, Provinz Antofagasta, Chile. – International Journal of Earth Sciences (ehemals Geologische Rundschau), 58, 903-908.
Teil 2 (demnächst): Vergleich mit dem Meteoritenkrater-Streufeld vom Chiemgau-Impakt.